Obwohl ein Patent für einen Sicherheitsgurt von dem Franzosen Gustave Desiré Liebau in das Jahr 1903 zurückgeht, setzten erste Diskussionen um Sicherheitsgurte erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges ein. Beginnend ab 1957 wurden solche in Deutschland von der schwedischen Firma Volvo und von der Daimler-Benz AG als Ausstattungsteil angeboten.

Wie schon bei der Betrachtung des Geschwindigkeitsangleichs erläutert wurde, beruht die Wirkung des Gurtsystems auf der Rückhaltung der Insassen. Durch hochfeste Gurtbänder werden bei einem Unfall die angegurteten Insassen auf ihren Sitzen festgehalten und bleiben dadurch mit dem Fahrzeug verbunden. Dies verhindert einen Anprall der Insassen auf Innenraumteile wie Lenkrad und Armaturen oder reduziert die Anprallgeschwindigkeit, sofern der Anprall bei höherer Unfallschwere nicht mehr vermeidbar ist. In der nachfolgenden Abbildung ist der prinzipielle Bewegungsablauf eines angegurteten erwachsenen Insassen dargestellt.


Bewegungsablauf eines angegurteten Insassen [1]

Gurtsysteme

Gurtsysteme werden prinzipiell nach ihrer Anordnung in vier Arten unterteilt: Beckengurt, Schrägschultergurt, Dreipunktgurt und (Vier- oder Sechspunkt-) Hosenträgergurt.


Verschiedene Sicherheitsgurtsysteme [2]:
1. Beckengurt, 2. Schrägschultergurt, 3. Dreipunktgurt, 4. Hosenträgergurt

Der Beckengurt umspannt nur das Becken. Er lässt bei einem Frontalaufprall den Oberkörper und den Kopf oberhalb der Hüfte vorknicken und eventuell auf Armaturenbrett und Windschutzscheibe aufschlagen („Klappmessereffekt“) und ist daher nur noch auf Rücksitzen in PKW und auf Sitzen in Omnibussen gebräuchlich. Der Schrägschultergurt, auch Diagonalgurt und Zweipunktgurt genannt, welcher diagonal über den Oberkörper läuft, kann beim Aufprall wohl das Vorknicken, nicht aber ein Durchrutschen unter dem Gurt verhindern und wird daher außer auf Rücksitzen nur zusammen mit speziellen Kniepolstern verwendet. Die Kombination von Beckengurt und Schrägschultergurt ergibt den Dreipunktgurt, der an drei Punkten in der Fahrzeugkarosserie verankert ist. Die dadurch erreichte Gurtbandführung ist optimal, da ein Vorklappen und Durchrutschen des Körpers verhindert und die Krafteinwirkung auf möglichst große Oberflächen verteilt werden kann.

Beim Dreipunktgurt besteht jedoch die Gefahr der Lage-Anomalie und des Submarining-Effekts. Letzterer kann mit Hilfe eines Anti-Submarining-Sitzes (eine in Fahrtrichtung nach oben geneigte Rampe, die sich im Unterbau des Sitzes befindet) sowie einer Submarining-Stütze (eine keilförmige Ausformung im vorderen Teil des Sitzes) verhindert werden. Der Dreipunktgurt mit Retraktor und anderen Zusatzeinrichtungen ist heute das am meisten verbaute Gurtsystem. Ein zusätzliches Plus an Sicherheit gegenüber dem Dreipunktgurt bietet der Hosenträgergurt. Er ist aber für den Benutzer unbequemer und beeinträchtigt die Fontpassagiere durch die Befestigung der innen liegenden Gurte in der Fahrzeugmitte. Sein Haupteinsatzgebiet ist daher der Motorsport.

Eine weitere Einteilung der Gurtsysteme kann bezüglich des Anlegens dieser vorgenommen werden. Während aktive Sicherheitsgurte durch den Benutzer selbst betätigt werden müssen, legen sich die passiven, beispielsweise beim Schließen der Fahrzeugtür, selbsttätig am Insassenkörper an. Passive Gurtsysteme wurden hauptsächlich für den US-amerikanischen Markt konzipiert. Da in den USA keine Gurtanlegepflicht bestand, sollte dem Insassen das Anlegen des Gurtes abgenommen und damit die innere Sicherheit gewährleistet werden. Wegen der aufwendigen Konstruktion und dem besseren Schutz der Airbags konnten sich die passiven Gurtsysteme nicht durchsetzen.


Passives Gurtsystem nach Volkswagen [3]

Die im Kraftfahrzeug eingebauten Sicherheitsgurte sind für Erwachsene konzipiert. Bei der Auslegung derartiger Systeme werden weder die Rückhaltung noch die Besonderheit der kindlichen Anatomie, insbesondere bei Kleinkindern berücksichtigt. Deshalb verläuft der Gurt bei Kindern, die kleiner als 150 cm sind, schädigend. Der Gurt ist zu nah am Hals und läuft zu hoch über den Bauch, wobei das harte Gurtschloss auf den Beckenknochen des Kindes aufliegt. Im Falle eines Unfalls wird das Kind nicht gehalten und kann durch den falsch sitzenden Gurt zusätzlich verletzt werden. Die Lösung liegt in speziellen Rückhaltesystemen für Kinder.


Bewegungsablauf eines Kindes mit Kinderrückhaltesystem [1]

Die ab dem 1. April 1993 in Deutschland gesetzlich vorgeschrieben Kinderrückhaltesysteme werden nach dem ECE-Reglement 44 in vier Massenklassen [4] [5] unterteilt:

Gruppe 0
Für Babys bis 10 kg Körpermasse (bis ca. 9 Monate). Liegend in der Babyschale, Babywanne oder gesichertem Babywagenaufsatz. Halb sitzend im Reboard-System entgegen der Fahrtrichtung auf dem Beifahrersitz oder vorwärts gerichtet auf der Rücksitzbank.

Gruppe 0+
Für Babys bis 13 kg Körpermasse (bis ca. 18 Monate).


Kinderrückhaltesysteme Gruppe 0 [6]: Babyschale, Reboard-System

Gruppe 1
Für Kleinkinder mit 9 - 18 kg Körpermasse (ca. 9 Monate bis ca. 3 Jahre). Fangkörpersysteme, bei denen das Kind statt mit Gurten über einen Fangkörper breitflächig abgestützt wird. Modelle mit eigenem Gurtsystem für das Kind (Hosenträgergurte). Sitzschalen mit fahrzeugeigenem Dreipunktgurt. Reboard-Systeme die zusätzliche Abstützung und Gurt benötigen.


Kinderrückhaltesysteme Gruppe 1 [6]:
Reboard-System, Sitz mit Hosenträgergurt, Fangkörpersystem, Sitz mit Dreipunktgurt

Gruppe 2
Für Kinder mit 15 - 25 kg Körpermasse (ca. 3 - 6 Jahre). Vorwärts gerichtet Sitzkissen/-polster mit Dreipunktgurt oder Kombination von Sitzkissen/-polster und Fangkörper.


Kinderrückhaltesysteme Gruppe 2 [6]:
Fangkörper-System, Sitzerhöhung mit Dreipunktgurt

Gruppe 3
Für Kinder mit 22 - 36 kg Körpermasse (ca. 6 - 12 Jahre). Das Kind kann frei sitzen, aber wie bei Gruppe 2, Erwachsenengurt reicht nicht aus.


Kinderrückhaltesysteme Gruppe 3 [6]:
Sitzerhöhung mit Dreipunktgurt

Kinderrückhaltesysteme mit Fangkörper haben den Vorteil, dass sich bei einem Unfall der Gesamtbiegewinkel der Wirbelsäule des Kindes über einen großen Bereich erstreckt, indem der Kopf durch ein Polster (Fangkörper) aufgefangen wird. Der Winkel zwischen den einzelnen Wirbelkörpern bleibt somit in erträglichen Grenzen. Dagegen besteht bei Kindersitzen mit Hosenträgergurtsystem durch die straffe Rückhaltung des Thorax die Gefahr einer hohen Belastung der Halswirbelsäule. Einen optimalen Schutz des Kindes bei einem Frontalaufprall bieten Systeme, die auf dem Beifahrersitz entgegen der Fahrtrichtung befestigt werden, die so genannten Reboard-Systeme. Die Körperbelastungen werden dabei großflächig eingeleitet und gleichmäßig verteilt. Jedoch ist bei diesem System gegebenenfalls die Deaktivierung des Beifahrerairbags nötig. Dem verbesserten Schutz für Kinder durch die verschiedenen Systeme steht der große Nachteil der oft schwierigen Handhabung dieser gegenüber. Häufig kommt es zu Anlegefehlern bei der Benutzung der Kinderrückhaltesysteme. Durch fest im Rücksitz eingebaute Systeme kann dieser Nachteil weitgehend vermieden werden [2].


Integriertes Kinderrückhaltesystem nach VOLVO [7]

Gurtkomponenten

Wie schon einleitend erwähnt, sind Dreipunktautomatikgurte heute die am meisten verbauten Sicherheitsgurte. Diese modernen Gurtsysteme bestehen aus dem Gurtband, dem Gurtschloss, einem Gurtaufroller (Retraktor), einer Höhenverstellung, einem Gurtstraffer sowie den Beschlagteilen wie Schlosszunge, Umlenkbeschlag und Endbeschlag.


Dreipunktautomatikgurt im eingebauten [8] und ausgebauten Zustand [9]

Das Gurtband verläuft dabei vom Befestigungspunkt (Punkt 1) am Fahrzeugboden oder am Sitzgestell über das Becken der Insassen, wird dann in der Öse der Schlosszunge (Punkt 2) umgelenkt und von da diagonal über den Insassen-Thorax nach oben zu dem in der B-Säule oder der Sitzlehne verschraubten Umlenkbeschlag (Punkt 3) geführt. Dieser ist drehbar befestigt und ermöglicht eine weitere Umlenkung des Gurtbandes nach unten zum Gurtaufroller. Die Länge des Gurtbandes variiert je nach Ausführung zwischen 1,5 m und 2,3 m. Die Breite beträgt 47 mm. Da das Gurtband in seiner Eigenschaft unelastisch sein muss, wird es aus einem speziellen Gewebe aus synthetischen Fasern (Polyamid bzw. Polyester) gefertigt. Die Dehnung des Gurtbandmaterials beträgt bei einer international genormten Zugkraft von 11 kN zwischen 6 und 14 %, in Sonderfällen bis zu 25 % der Gesamtlänge. Bei Volkswagen und AUDI beispielsweise liegt die Dehnung bei 7 bis 9 %, bei BMW um die 10 %, dagegen bei Daimler-Chrysler und Opel beträgt diese 12 bis 14 %. Weiterhin besteht die Erfordernis einer hohen statischen Bruchfestigkeit des Gurtbandes. Nach ECE R-16 muss es einer Kraft von mindestens 14,7 kN standhalten. Da Gurtbänder altern, werden diese jedoch mit einer höheren statischen Bruchfestigkeit von 25 bis 30 kN ausgelegt.

Das Schließen des Gurtsystems erfolgt durch Einrasten der Schlosszunge in das Gurtschloss. Das heute am meisten verbreitete Prinzip ist das Rastnockenschloss. Die tragenden Bauteile wie die Zunge, Rastnocken und Schlossplatte sind dabei aus Stahl gefertigt. Indessen bestehen die Ver- und Entriegelungsmechanik sowie das Gehäuse aus Kunststoff. Das Schloss ist mittels Beschlag, Gurtband oder Stahlseil am Sitzrahmen befestigt [2]. Eine andere nicht mehr so gebräuchliche Methode ist die Befestigung am Fahrzeugboden.


Verschiedene Gurtschlösser mit unterschiedlichen Befestigungssystemen [8]


Schematischer Aufbau eines Gurtschlosses [10]

Um das Problem der unterschiedlichen Körpergrößen der Insassen und der damit im Falle eins Crashs verbundenen Gefäßverletzungen am Hals zu lösen, bedarf es einer Gurthöhenverstellung. Der Höhenversteller ist meistens an der B-Säule angebracht und ist auf die erforderliche Größe des Insassen manuell einzustellen. Automatische Gurthöhenversteller regulieren die erforderliche Höhe entsprechend der Körpergröße des Insassens selbsttätig. Solche Systeme können auch mit der Sitzverstellung gekoppelt sein. Bei sitzintegrierten Gurtsystemen erfolgt die Höhenverstellung des Umlenkpunktes entweder mechanisch mit der Sitzverstellung oder mit Hilfe eines Schrittmotors, der durch eine Memory-Schaltung angesteuert werden kann. Solche Systeme finden, wegen der fehlenden B-Säule, häufig in Cabriolets ihre Anwendung.


Manuelle Gurthöhenverstellung [11]


Automatische Gurthöhenverstellung [11]


Sitzintegriertes Gurtsystem nach BMW [12]

Von der Gurthöhenverstellung wird das Gurtband mittels Umlenkbeschlag zum Retraktor geleitet. In diesem ist das Gurtband auf einer Spule aufgewickelt und wird bei einer Vorwärtsbewegung des Insassen gegen eine geringe Federkraft freigegeben, dagegen bei einer Rückwärtsbewegung oder beim Lösen des Gurtes wieder aufgespult. Der Retraktor ermöglicht somit den Komfort einer großen Bewegungsfreiheit für die Insassen im Fahrzeug, indem er ständig die Länge des Gurtbandes nach Bedarf ändert. Im Falle eines Unfalls dagegen, lässt sich das Gurtband nicht weiter abwickeln. Die Blockierung erfolgt über zwei unabhängig voneinander wirkende mechanische Systeme. Das erste System wird ab einer Fahrzeugverzögerung von 0,45 g (dies entspricht 4,5 m/s, zum Vergleich die normale Vollbremsung beträgt 0,8 g) oder einer bestimmten Fahrzeugschräglage über eine Stahlkugel oder ein Pendel aktiviert. Bei Verzögerungswerten über 1,5 g und einer Gurtbandfreigabe von 50 mm tritt das zweite System in Kraft. Ein Massenelement, das beim Erreichen einer bestimmten Fliehkraft radial ausgelenkt wird, aktiviert den Sperrhebel, der in der Wickelspule blockiert.


Retraktor im ausgebauten Zustand [13]


Schematischer Aufbau eines Gurtaufwicklers [10]

Trotz der Arretierung der Wickelspule kommt es zur sogenannten Gurtlose. Die Folge ist eine größere Vorverlagerung der Insassen. Die Gurtlose setzt sich zusammen aus dem unbeabsichtigten Gurtbandauszug (Filmspulen-Effekt), der Bekleidungsnachgiebigkeit und dem systembedingten Spiel sowie der Gurtbanddehnung. Mit der Einführung eines Gurtklemmers, bei dem eine Verzahnung durch ein Kippmoment oder durch Auflaufen auf eine schiefe Ebene das Gurtband festgeklemmt und ein weiteres Ausziehen verhindert wird, kann der Filmspulen-Effekt weitgehend unterbunden werden [2]. Der Gurtklemmer begrenzt das Gurtband auf eine Ausrolllänge von ca. 20 bis 25 mm. Er ist dabei im Retraktor oder zwischen Gurtautomaten und dem Umlenkbeschlag untergebracht. Die Eliminierung der gesamten Gurtlose lässt sich jedoch nur durch Einsatz eines Gurtstraffers realisieren.


Verschiedene Gurtklemmer [10] [14]

Gurtstraffer können nach ihrer Art der örtlichen Unterbringung in Schlossstraffer und Aufrollstraffer unterteilt werden. Während der Schlossstraffer das Gurtband an Schulter- und Beckengurt gleichzeitig strafft, wird beim Aufrollstraffer zunächst das Schultergurtband und danach zeitlich verzögert der Beckengurt verkürzt. Folglich benötigt der Aufrollstraffer für die gleiche Gurtlose mehr Zeit als der Schlossstraffer. Zur Realisierung beider Systeme erfolgt die erforderliche Energiespeicherung in der Regel mechanisch oder pyrotechnisch [2]. Beiden gemeinsam ist das Bestreben innerhalb kürzester Zeit (8 bis 25 ms) nach dem Fahrzeugaufprall den Sicherheitsgurt zu straffen und damit den Insassen in die gewünschte aufrechte Position zu bringen. Die Auslösung der Gurtstraffer erfolgt je nach Modell bei einem Frontalaufprall mit einem Aufprallwinkel von je 30° zur Fahrzeuglängsachse. Bei einigen neuen pyrotechnischen Systemen wirken sie auch bei einem Heckaufprall oder Überschlag. Anders die mechanischen Gurtstraffer, deren Wirkung nur beim Frontalcrash eintritt [15]. Je nach System beträgt der Rückzugsweg 40 bis 60 mm (mechanisch) bzw. bis zu 200 mm (pyrotechnisch). Beim mechanischen Gurtstraffer löst bei einer bestimmten Verzögerungsschwelle ein mechanischer Sensor durch Ausnutzung der Trägheitskraft einen Kipphebel aus, der eine in Ruhelage mit ca. 2000 N vorgespannte Feder freigibt und über einen Seilzug die Schlosslänge so verkürzt.


Wirkungsweise des mechanischen Schlossstraffers [10]

Pyrotechnische Gurtstraffer beziehen ihre Energie aus einer je nach Sensorik elektrisch oder mechanisch gezündeten Treibladung. Als Festtreibstoff werden oft 1 bis 2 Gramm Nitrocellulose verwendet [15]. Die pyrotechnische Energiespeicherung findet sowohl bei Schlossstraffer als auch bei Aufrollstraffer ihre Anwendung. Im Auslösefall werden Zündpillen aktiviert, welche die Treibladung im Gasgenerator zünden. Die dabei freiwerdende Gasladung wirkt auf einen im Zylinder befindlichen Kolben, der über ein Drahtseil mit dem Gurtschloss beim Schlossstraffer bzw. der Gurtwickelspule des Gurtautomaten beim Aufrollstraffer verbunden ist und somit das Gurtband strafft. Im Gegensatz zu den mechanischen weisen pyrotechnische Gurtstraffer eine höhere Störanfälligkeit auf.


Pyrotechnischer Schlossstraffer (links) und Aufrollstraffer (rechts) [16]


Aufbau eines pyrotechnischen Gurtstraffersystems mit Drahtseilantrieb [10]


Wirkungsweise eines pyrotechnischen Schlossstraffers [16]

Da pyrotechnische Aufrollstraffer einen ungebrochen hohen Stellenwert in der Automobilsicherheit einnehmen, soll vertretungsweise für die Variantenvielfalt auf zwei, zum Beispiel durch Volkswagen und Audi, eingesetzte Gurtstrafferlösungen eingegangen werden.

Der im VW Passat für die vorderen Sicherheitsgurte eingesetzte Gurtstraffer benutzt einen Kugelantrieb zur Straffung des Gurtes. Bei Auslösung des Gurtstraffers wird eine pyrotechnische Treibladung aktiviert. Die daraus resultierende Kraft schießt Stahlkugeln aus einem Vorratrohr in einen Auffangbehälter. Ein Zahnrad, welches mit der Gurtwickelspule verbunden ist, wird gedreht und der Gurt entgegen der Zugrichtung gestrafft. Die Auslösung erfolgt jedoch nur, wenn eine mechanische Gurtanlegeerkennung einen abgewickelten Gurt registriert [15].


Pyrotechnischer Aufrollstraffer mit Kugelantrieb nach Audi [17] [16]

Eine andere Variante ist der Gurtstraffer mit Wankelbauweise, den Volkswagen für die hinteren Gurtstraffer einsetzt. Es werden drei pyrotechnische Treibladungen in einem Wankelmotor ähnlichen Kolben aufeinander folgend gezündet, wobei die erste Zündung mechanisch erfolgt. Das Treibgas dehnt sich aus und dreht den Kolben im Uhrzeigersinn. Durch die Drehung werden nacheinander die Öffnungen für die beiden anderen Treibladungen freigegeben und durch einen Schlagbolzen ausgelöst. Der Kolben kann dadurch etwa zwei Umdrehungen durchführen und den Gurt straffen [15].


Wirkungsweise eines Aufrollstraffers mit Wankelmotorsystem [10]

Weitere Varianten, wie der folgend abgebildete Rohr-Aufrollstraffer oder Aufrollstraffer mit Turbine, sollen die Vielfalt der im Aufrollautomat verbauten Systeme bekräftigen.


Links: Rohr-Aufrollstraffer [18], rechts: Aufrollstraffer mit Turbine [10]

Ein anderes Prinzip der Energiebereitstellung ist die weniger gebräuchliche Nutzung der unfallbedingten Fahrzeugverformung, bei der die Gurtstraffung hydraulisch oder mechanisch durch Stahlseile erfolgt. Bei der hydraulischen Gurtstraffung wird die Verformungsenergie eines Unfalls durch zwei hydraulische Energieabsorber aufgenommen und zu den Linear- Gurtspannzylindern weitergeleitet [2].


Wirkprinzip des hydraulischen Gurtstraffers [2]

Das von AUDI entwickelte „ten-System“ beruht auf dem Prinzip der mechanischen Gurtstraffung. Zur Auslösung des Systems ist wie bei der hydraulischen Gurtstraffung ein Unfall nötig. Die Relativbewegung zwischen Motor und Karosserie bewirkt dabei eine Vorspannung des Gurtbandes über Stahlseile, die parallel zur Vorverlagerung des Lenkrades (procon-System) angeordnet sind. Die Straffung der vorderen Sicherheitsgurte erfolgt durch die Verbindung der Gurtwickelspule mit dem Seilantrieb. Dabei umschlingt das freie Seilende eine auf der Wickelachse angeordnete Seilrolle, die im Wirkfalle eine kraftschlüssige Verbindung eingeht. Die maximale Straffwirkung wird durch einen definierten Straffweg und eine Straffkraft begrenzt [2].


Aufbau des procon-ten Systems nach Audi [19]


Wirkungsweise des procon-ten Systems [19]

Der Eliminierung der Gurtlose steht die höhere Belastung vor allem im Bereich des Thorax der Insassen gegen über. Aus diesem Grund wurden zusätzlich Gurtkraftbegrenzer als belastungsreduzierende Komponenten von Gurtsystemen entwickelt. Sie begrenzen die Kraft, die im Fall eines Crashs auf den Gurt und die Schulter des Insassen einwirkt. Übersteigt die Belastung die Obergrenze, wird Gurtband definiert freigegeben. Gurtkraftbegrenzer gibt es in verschiedenen konstruktiven Ausführungen. Dazu zählen Torsionsstäbe im Aufroller, Reißnähte am Gurtband, Deformations- oder Reibungselemente und andere Energiewandlungsprinzipien. Die verschiedenen Prinzipien zur Kraftbegrenzung an Gurtsystemen sind in nachstehender Tabelle zusammengefasst.


Prinzipien zur Kraftbegrenzung an Gurtsystemen [2]

Ein Beispiel für einen Gurtkraftbegrenzer ist das von Renault in der ersten Generation eingesetzte Programmed Restraint System (PRS) mit einem an der B-Säule der Karosserie angeschraubten perforierten Befestigungswinkel. Werden die vorgegebenen Größen durch die auf den Gurt wirkenden Kräfte überstiegen, reißt die Perforation am Metallwinkel auf und der Gurt gibt um einen bestimmten Weg nach [15].


Funktionsweise eines Gurtkraftbegrenzers mit perforierten Befestigungswinkel [10]

Die heute am häufigsten eingesetzten Systeme sind Gurtkraftbegrenzer mit einem in der Aufrollautomatik verbauten Torsionsstab. Ab einer bestimmten Gurtbelastung wird dieser verdreht und das gestraffte Gurtband bei einer definierten Kraft wieder freigegeben. Der Torsionsstab kann sich dabei bis zu neun Mal um die eigenen Achse drehen und ermöglicht einen linearen Kraftverlauf. Die Automobilhersteller fordern Torsionsstäbe, die bis zu drei unmittelbar aufeinander folgende Beanspruchungen aufnehmen. Derartige Belastungen entstehen, wenn der PKW beispielsweise zuerst gegen die Leitplanke der Autobahn stößt, dann zurück geschleudert wird und gegen zwei weitere massive Gegenstände prallt bis er zum Stehen kommt. Der Torsionsstab darf trotz der Mehrfachbelastung nicht brechen. Er muss sich bei jeder Belastung verdrehen und Energie aufnehmen. Innerhalb von 10 bis 200 ms werden Torsionsstäbe verdrillt. Die größte Verformung findet am äußeren Durchmesser statt [20]. Mit Hilfe der Torsionsstabsysteme kann die Schultergurtkraft um mehr als 50 % reduziert werden. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Varianten bestehen lediglich in der konstruktiven Umsetzung der Funktion.


Wirkprinzip eines Gurtkraftbegrenzers mit Torsionsstab [21]

Neuheiten und Ausblicke

Die technischen Neuerungen des Gurtsystems betreffen derzeit hauptsächlich den Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzer.

Obwohl zur Eliminierung der Gurtlose bisher ausschließlich die pyrotechnischen Gurtstraffer dominierten, die gemeinsam mit dem Airbag von einer zentralen Airbagauslöseelektronik aktiviert werden, setzen sich derzeit immer mehr die reversiblen elektromechanischen Gurtstraffer durch. Solche mehrfach verwendbaren Systeme sind vor allem für vorausschauende Insassenschutzsysteme von Bedeutung. Durch die Nutzung der verschiedenen Sensorsignale aus dem Bereich der aktiven Sicherheit sowie der Airbagsteuerelektronik lassen sie sich für vorbeugende Straffungen der Gurte, wie auch für die gezielte Rückhaltung der Insassen bei einem Unfall, verwenden. Eine variable Vorspannung der Gurte gehört dabei genauso zum Stand der Technik, wie die Einstellung der Vorspannzeit [22]. In der Zukunft ist geplant, den Gurt an allen drei Befestigungspunkten zu straffen, um Kippbewegungen und einseitige Belastungen der Insassen vermeiden zu können [15].


Motorisierter Retraktor mit Pulsweitenmodulations-Motorsteuerung nach Delphi [8]


Mechatronisches Gurtstraffersystem nach Siemens VDO [23]

Bei der Weiterentwicklung der Gurtkraftbegrenzer liegen eindeutig die Tendenzen zu zweistufigen und adaptiven Systemen. Das von Autoliv entwickelte „Geared Smart Seat Belt“ System beruht auf dem Einsatz eines zweistufigen Gurtkraftbegrenzers mit Torsionsstab [24]. In der ersten Stufe, der Anfangsphase eines Crashs, bei der nur die Rückhaltung des Gurtes wirkt, arbeitet das System mit einer hohen Rückhaltekraft. Taucht der Insasse in den Airbag ein, schaltet ein pyrotechnischer Schalter in die zweite Stufe mit einer geringeren Rückhaltekraft. Die Schalteinheit ist dabei im Retraktor untergebracht. Während sich bei den bisherigen Systemen die Kräfte des Gurtsystems und des Airbags bei gleichzeitiger Wirkung auf die Insassen addierten, wird die Last mit dem zweistufigen Gurtkraftbegrenzer, die auf den Brustkorb der Insassen wirkt, gleichmäßig über den ganzen Crash verteilt [21]. Die neuartigen adaptiven Gurtkraftbegrenzer sind in der Lage noch individueller auf die jeweiligen Unfallbedingungen einzugehen. Sie werden durch eine Steuerelektronik pyrotechnisch gezündet und können noch während des Unfalls die Begrenzungskraft entsprechend des Unfallverlaufes und der Unfallschwere anpassen. Mit der zukünftigen Sensierung der Insassen wird es zusätzlich möglich sein, nicht nur auf die Bedingungen des Unfalls einzugehen, sondern auch individuell auf den einzelnen Insassen und dessen Größe, Gewicht und Position im Fahrzeug zu reagieren.


Zweistufiger Gurtkraftbegrenzer [22] [24]

Die Möglichkeit der Kraftbegrenzung in Abhängigkeit vom Gewicht des Insassen wirken zu lassen, ist der Bestandteil der „Smart Restraint Systems“. Im Vergleich benötigt ein leichter Insasse weniger Begrenzungskraft als ein schwerer, der einen großen Vorverlagerungsweg in Anspruch nimmt. Der leichte Insasse erfährt dagegen eine höhere Beschleunigung. Das Ziel der Smart Restraint Systems besteht darin, die Insassenbelastung bei leichten und bei schweren Insassen an die niedrigeren Werte des durchschnittlichen Insassen anzupassen [2]. Ein ganz anderer Ansatz zur Reduzierung der Gurtkraft verfolgt der von Honda entwickelte Airbelt. Es handelt sich dabei um eine Kombination aus Sicherheitsgurt und im Brustbereich aufblasbares Luftkissen (Airbag). Durch das Aufblasen des Airbags, mittels eines im Gurtschloss oder im Höhenversteller untergebrachten Gasgenerators, kann durch die Zunahme der Gurtoberfläche die Flächenpressung erheblich reduziert und die Rückhaltung des Insassen verbessert werden. Weiterhin können Airbelts durch das zusätzliche Abstützen des Kopfes zur Verringerung der Nackenbelastung beitragen [22].


Airbelt nach Honda [25]

Dass neben der Verbesserung und Optimierung der Gurtstraffer und Gurtkraftbegrenzer auch Forschungen zu grundlegenden Veränderungen am Gurtsystem betrieben werden, stellt Saab mit dem Saab Supplement Belt (SSB) unter Beweis. Der SSB ist dabei ein zum Kreuzgurt erweiteter Dreipunktgurt, welcher nicht nur bei Frontalunfällen, sondern auch bei Seitenunfällen den Fahrer sicher im Sitz hält und Schleuderbewegungen unterbindet. Das System soll ab dem Jahr 2005 angeboten werden. Die Komfortprobleme der über Kreuz laufenden Gurtbänder sollen bis dahin beseitigt sein.


Saab Supplement Belt


Quellen:

[1] Staatliche Materialprüfungsanstalt Universität Stuttgart, Fachgruppe Verkehrstechnik und
     Hochgeschwindigkeitsanalyse: http://www.mpa.uni-stuttgart.de

[2] Kramer, Florian: Passive Sicherheit von Kraftfahrzeugen. Braunschweig/Wiesbaden: Vieweg, 1998

ISBN: 978-3-8348-0113-5 (http://www.vieweg.de)

[3] VW Käfer 1302: http://www.vw1302.de

[4] Kreispolizeibehörde Gütersloh: http://www.polizei-gt.de/kindersitz.html

[5] www.babyschale.de: http://www.babyschale.de/norm.htm

[6] Kreisverkehrswacht Göppingen e.V.: http://www.verkehrswacht-goeppingen.de/kinder5.htm

[7] VOLVO AG: Pressemappe VOLVO XC90

[8] Delphi Technologies Inc.: Belt Restraint Systems. http://www.delphi.com

[9] G.E.M. Street Rod Products: http://www.gemstreetrods.com

[10] Nagel, Lutz: Lehrmaterial Passive Sicherheit. FH Zwickau, Stand: 2002

[11] UK Car: Height Adjustable Front Seat Belts. http://www.ukcar.com

[12] BMW AG: Produktkatalog BMW 6er Cabriolet

[13] Snappin' Turtle Tie-Downs: http://www.snappinturtle.com

[14] Autoliv Inc.: Belt Grabber. http://www.autoliv.com

[15] Rokosch, Uwe: Airbag und Gurtstraffer. Würzburg: Vogel, 2002

ISBN: 978-3-8023-1883-2 (http://www.vogel-buchverlag.de)

[16] Chidester, Augustus: Evolution of Air Bag Technology - Including a Discussion of EDR Importance:
       NHTSA Präsentation. Blue Ribbon Panel Public Meeting, 2003

[17] Audi AG: Audi Lexikon, Gurtstraffer.

[18] Autoliv Inc.: Visions Become Reality. Präsentation. http://www.autoliv.com

[19] Chris Miller's Audi Page: Pro-Con 10. http://members.aol.com/c1j1miller/procon10.html

[20] Steinbeis Transferzentrum: Berührungsfreie Temperaturmessung an Torsionsstäben für Gurt-Rückhaltesysteme
       in PKW

[21] Autoliv Inc.: Load limiters. http://www.autoliv.com

[22] Schlott, Stefan: Insassenschutz. Landsberg am Lech: Moderne Industrie, 2003

ISBN: 978-3-478-93298-1 (http://www.mi-verlag.de)

[23] Siemens VDO Automotive AG: Media Center, Images Online

[24] European Vehicle Passive Safety Network 1: State-of-the-art Report Task 5 Smart Restraint Systems. 2003

[25] Crash Test: Airbag